Künstliche Intelligenz wird in Callcentern bald maßgeblich sein

„Künstliche Intelligenz wird in Callcentern bald maßgeblich sein“ – und sie werde uns „zu schaffen machen“, sagt heute Wolfgang Beinhauer vom Frauenhofer Institut auf der Fachtagung für Call- und Servicecenter in Hattingen. Dadurch werde ein Teil der Tätigkeiten der Beschäftigten substituiert, bestimmte Qualifikationen blieben allerdings mehrheitlich den Menschen vorbehalten: Einschätzen, Kreieren oder Führen beispielsweise. „Da gehen die neuen Arbeitsplätze rein.“

Gleichwohl warnt Beinhauer vor ethischen Problemen. Diese stellt er anhand des Microsoft Projekts „Tay“ dar. Der Bot sollte 2016 Jugendsprache auf Basis von Twitter-Einträgen lernen. Ein den Holocaust leugnender und frauenfeindlicher Bot war das Ergebnis des ersten Testlaufs. „Tay“ musste nach 24 Stunden abgeschaltet werden.

„Wir brauchen einen normativen Rahmen, eine Ethik, wie wir künstliche Intelligenz betreiben wollen“, folgert Beinhauer. Erste Ansatzpunkte könnten Transparenz und Gleichbehandlung durch die KI sein. „Letztendlich muss die Frage, fahre ich in die Menschen oder in die Wand hinein, durch die KI klar beantwortet werden.“

Da wo Automatisierung möglich und nötig ist, werde sie aber „auch genau so kommen“, prognostiziert der Wissenschaftler.  Einen „menschliche Abnicker“ werde es an vielen Stellen nicht mehr geben.

Beinhauer hatte diverse Chat-Bots vorgestellt. Zwei der Chatbots sind hier online zu finden. Viel Spaß damit

Sparkassen-Chatbot.de
https://sparkassen-chatbot.de/

eva zahnzusatzversicherung
https://schoenezaehne.inter.de/

 

„Die wollen uns brennen sehen“

Prof. Dr. Jochen Prümper von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin kritisierte am zweiten Tag der Fachtagung für Call- und Servicecenter die hohen psychischen Belastungen innerhalb der Branche: „Es gibt keine Branche, die mehr psychische Störungen bei den Beschäftigten produziert“, sagt Prümper – und belegt dies mit belastbaren Zahlen der AOK. „Es gibt auch keine Branche mit mehr Burnout-bedingten Ausfällen pro 100 Beschäftigten“, erklärt der Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler. Als Gründe führt er unter anderem das Großraumbüro, Zeitdruck und einen hohen fremdbestimmter Arbeitsanteil an. Ein großes Problem ist laut Prümper auch die emotionale Dissonanz, die entsteht, wenn Beschäftigte Emotionen am Arbeitsplatz permanent vortäuschen müssen.

Prümper wirbt leidenschaftlich für eine ordentliche Gefährdungsbeurteilung: „Keine Maßnahme ohne vernünftige Diagnostik – und eine vernünftige Diagnostik ist eine vernünftige Gefährdungsbeurteilung“, sagt er. Leider werden in vielen Unternehmen keine Gefährdungsbeurteilungen bezüglich psychischer Belastungen gemacht, obwohl dies gesetzlich vorgeschrieben wäre, ergänzt Katrin Drews, TBS NRW.

Rege Diskussion zur Verhaltens- und Leistungskontrolle

Darüber hinaus wird auch in keiner Branche die Arbeitsleistung derartig vermessen wie in der Callcenter-Branche. Der Druck ist immens! Neben den technischen Möglichkeiten nutzen manche Unternehmen auch psychische Einschüchterungsmethoden, wie sie ansonsten in Gefängnissen eingesetzt werden. Ein Betriebsrat berichtet im Workshop beispielsweise davon, dass  Teamleiterinnen und Teamleiter bei ihnen auf erhöhten Podesten sitzen, um den Überwachungsdruck zu erhöhen. „Die wollen uns brennen sehen“, sagt er.

Betriebsräte haben die Möglichkeit, mithilfe der Mitbestimmung die Verhaltens- und Leistungskontrolle einzugrenzen. Allerdings: „Wenn die Verhaltens- und Leistungskontrolle zur Bewertung der Bonuszahlung genutzt wird, sind viele Beschäftigte leider häufig für Überwachung“, beklagt eine Betriebsrätin. Aufgrund niedriger Löhne sind viele in der Callcenter-Branche auf Bonuszahlungen angewiesen. Diese setzen eine Dokumentation bestimmter Leistungen voraus. „Die Beschäftigen haben gesagt, wir wollen das Geld! Es war knapp davor, dass sie dem Betriebsrat mit Knüppeln die Türe eingeschlagen haben“, berichtet eine andere Betriebsrätin.

Wenn für die Bemessung von Bonuszahlungen Leistungserfassung vorherrscht, dann sollte man diese jedenfalls genau definieren und stark begrenzen, rät Dr. Maike Pricelius der Beratungseinrichtung G.IBS. Letztendlich lasse sich das Thema auf die gewerkschaftliche Organisierung zurückführen, fasst ein Betriebsrat zusammen: „Der einzige Weg, das Thema Bonuszahlungen und damit die Leistungskontrolle vom Tisch zu bekommen, ist die gewerkschaftliche Organisierung.“

DGUV-Branchenregel: ein gutes Werkzeug

Anna Gabler im Gespräch mit Hansjörg Christoph

Hansjörg Christoph (Verwaltungs-Berufsgenossenschaft) ist Mitgestalter der DGUV-Regeln, die staatliche Arbeitsvorschriften und Normen zusammenfassen. Auf der Fachtagung für Betriebs- und Personalräte warb der Experte für das Regelwerk: „Arbeitgeber muss nur eine Broschüre in die Hand nehmen, dann kann er loslegen.“ Anna-Gabler (TBS Rheinland-Pfalz) bestätigt: „Wir nutzen die Branchenregel häufig in der Beratung.“ Da sich die DGUV-Regeln auf Gesetze stützen, sind sie auch für die juristischen Auseinandersetzungen geeignet. Allerdings wird die Branchenregel in Call- und Servicecentern leider noch zu wenig genutzt.

Christoph rät dazu, die Zusammenarbeit zwischen Betriebsräten und Fachkräften für Arbeitssicherheit zu verbessern. „Und man sollte sich mal ansehen, wie emsig dieser Mensch ist“, ergänzt der Gesundheitsexperte. Eine Betriebsrätin wirft ein: „Ich würde mir mal wünschen, dass mehr Kontrollen in den Betrieben stattfinden.“ Das Personal in diesem Bereich wird aufgestockt, erklärt Christoph. Allerdings seien es über 100.000 Unternehmen, die der VBW angehören. Die könne man nicht gerade mal eben alle kontrollieren.

Bis zum Cyber-Callcenter ist es noch ein langer Weg

Mario Daum (Input Consulting) und Max Thomsen (TBS NRW) sehen allerhand digitalen Wandel in Call- und Servicecentern. Aber von künstlicher Intelligenz sei noch nicht viel zu bemerken, sagen die Experten.

Durch das Workforce-Management und eine veränderte Arbeitsorganisation nehmen Arbeitsverdichtung, kurzfristige Arbeitseinsätze und häufige Aufgabenwechsel in den Telefonierstuben immer weiter zu, sagt Mario Daum auf der diesjährigen Fachtagung für Call- und Servicecenter in Hattingen. Viele Routine-Arbeiten können heute von IT-Systemen übernommen werden. Immer mehr Auskünfte holen sich Kunden selbst über Portale und Apps ab. Das führe laut Daum zu einer Substitution vieler Tätigkeitsfelder durch Maschinen. Auf der Seite „Job-Futuromat“ ließe sich bereits einen Eindruck gewinnen, ob die eigene Tätigkeit bereits von einer Maschine übernommen werden kann.

Skeptisch äußerte sich der Berater hinsichtlich der Entwicklung von künstlicher Intelligenz. „Ich habe sie gesucht, aber noch nicht viel künstliche Intelligenz angetroffen“, sagt Daum. „Auch die Chat-Bots waren häufig keine.“ Ähnlich äußerte sich Max Thomsen von der TBS NRW, dem gewerkschaftsnahen Beraternetzwerk. „Die Bots sind heute noch nicht so weit, wie sie immer dargestellt werden.“ Außerdem wünschten sich sehr viele Menschen den persönlichen Kontakt, so Thomsen.

Zur allgemeinen Leistungs- und Verhaltenskontrolle in Call- und Servicecentern hatte der TBS-Experte kritische Töne im Gepäck. „Die Menschen werden im Callcenter heute vermessen, mit welcher Durchschnittsgeschwindigkeit sie telefonieren usw.“, weil das technisch möglich sei. Darin erkennt Thomsen eine Renaissance der tayloristischen Betriebsordnung. „Obwohl bekannt ist, dass die tayloristische Ordnung nicht produktiver ist.“

Eine Online-Umfrage unter Teilnehmenden der Fachtagung hat indes ergeben, dass die überwiegende Mehrheit der Ansicht ist, digitale Arbeitsmittel erhöhten den Leistungsdruck und belasteten die Psyche. Eine Teilnehmerin bringt es mit den Worten auf den Punkt: „Lieber ein Programm nutzen anstatt zehn kleine Tools. Da kennst du nach fünf Stunden Arbeit deinen eigenen Namen nicht mehr.“

Fachtagung für Call- und Servicecenter eröffnet!

Mehr Teilnehmende als erwartet konnten heute auf der Fachtagung in den DGB-Seminarräumen in Hattingen begrüßt werden. Mit einem kämpferischen aber auch nachdenklichen Rede eröffnete Markus Nöthen von ver.di die Konferenz. 

„Nur gemeinsam können wir etwas erreichen“, sagte der Bundesfachgruppenleiter von ver.di vor etwa 70 Teilnehmenden in Hattingen. „Ist der Organisierungsgrad nicht einmal höher als die Krankenquote, drehen sich die Arbeitgeber weg, wenn ich mit ihnen verhandeln möchte.“ Nöthen konnte zur Einstimmung in die Tagung allerdings auch auf eine Reihe erfolgreicher Tarifverhandlungen im Callcenter-Bereich verweisen. „Um Erfolge zu erzielen, müssen wir uns aber vernetzen – und genau deshalb sind wir hier“, sagte der Gewerkschaftssekretär.

Im Anschluss erarbeiteten Nöthen und Anette Berger, ebenfalls ver.di Bundesfachgruppenleiterin, mit einer Workshopgruppe Lösungen, mit denen ein Tarifvertrag in greibare Nähe rücken kann. Die meisten Interessenvertretungen der teilnehmenden Betriebe haben entweder einen Tarifvertrag oder steben aktuelle einen an.