„Die wollen uns brennen sehen“
Prof. Dr. Jochen Prümper von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin kritisierte am zweiten Tag der Fachtagung für Call- und Servicecenter die hohen psychischen Belastungen innerhalb der Branche: „Es gibt keine Branche, die mehr psychische Störungen bei den Beschäftigten produziert“, sagt Prümper – und belegt dies mit belastbaren Zahlen der AOK. „Es gibt auch keine Branche mit mehr Burnout-bedingten Ausfällen pro 100 Beschäftigten“, erklärt der Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler. Als Gründe führt er unter anderem das Großraumbüro, Zeitdruck und einen hohen fremdbestimmter Arbeitsanteil an. Ein großes Problem ist laut Prümper auch die emotionale Dissonanz, die entsteht, wenn Beschäftigte Emotionen am Arbeitsplatz permanent vortäuschen müssen.
Prümper wirbt leidenschaftlich für eine ordentliche Gefährdungsbeurteilung: „Keine Maßnahme ohne vernünftige Diagnostik – und eine vernünftige Diagnostik ist eine vernünftige Gefährdungsbeurteilung“, sagt er. Leider werden in vielen Unternehmen keine Gefährdungsbeurteilungen bezüglich psychischer Belastungen gemacht, obwohl dies gesetzlich vorgeschrieben wäre, ergänzt Katrin Drews, TBS NRW.
Rege Diskussion zur Verhaltens- und Leistungskontrolle
Darüber hinaus wird auch in keiner Branche die Arbeitsleistung derartig vermessen wie in der Callcenter-Branche. Der Druck ist immens! Neben den technischen Möglichkeiten nutzen manche Unternehmen auch psychische Einschüchterungsmethoden, wie sie ansonsten in Gefängnissen eingesetzt werden. Ein Betriebsrat berichtet im Workshop beispielsweise davon, dass Teamleiterinnen und Teamleiter bei ihnen auf erhöhten Podesten sitzen, um den Überwachungsdruck zu erhöhen. „Die wollen uns brennen sehen“, sagt er.
Betriebsräte haben die Möglichkeit, mithilfe der Mitbestimmung die Verhaltens- und Leistungskontrolle einzugrenzen. Allerdings: „Wenn die Verhaltens- und Leistungskontrolle zur Bewertung der Bonuszahlung genutzt wird, sind viele Beschäftigte leider häufig für Überwachung“, beklagt eine Betriebsrätin. Aufgrund niedriger Löhne sind viele in der Callcenter-Branche auf Bonuszahlungen angewiesen. Diese setzen eine Dokumentation bestimmter Leistungen voraus. „Die Beschäftigen haben gesagt, wir wollen das Geld! Es war knapp davor, dass sie dem Betriebsrat mit Knüppeln die Türe eingeschlagen haben“, berichtet eine andere Betriebsrätin.
Wenn für die Bemessung von Bonuszahlungen Leistungserfassung vorherrscht, dann sollte man diese jedenfalls genau definieren und stark begrenzen, rät Dr. Maike Pricelius der Beratungseinrichtung G.IBS. Letztendlich lasse sich das Thema auf die gewerkschaftliche Organisierung zurückführen, fasst ein Betriebsrat zusammen: „Der einzige Weg, das Thema Bonuszahlungen und damit die Leistungskontrolle vom Tisch zu bekommen, ist die gewerkschaftliche Organisierung.“
DGUV-Branchenregel: ein gutes Werkzeug
Anna Gabler im Gespräch mit Hansjörg Christoph
Hansjörg Christoph (Verwaltungs-Berufsgenossenschaft) ist Mitgestalter der DGUV-Regeln, die staatliche Arbeitsvorschriften und Normen zusammenfassen. Auf der Fachtagung für Betriebs- und Personalräte warb der Experte für das Regelwerk: „Arbeitgeber muss nur eine Broschüre in die Hand nehmen, dann kann er loslegen.“ Anna-Gabler (TBS Rheinland-Pfalz) bestätigt: „Wir nutzen die Branchenregel häufig in der Beratung.“ Da sich die DGUV-Regeln auf Gesetze stützen, sind sie auch für die juristischen Auseinandersetzungen geeignet. Allerdings wird die Branchenregel in Call- und Servicecentern leider noch zu wenig genutzt.
Christoph rät dazu, die Zusammenarbeit zwischen Betriebsräten und Fachkräften für Arbeitssicherheit zu verbessern. „Und man sollte sich mal ansehen, wie emsig dieser Mensch ist“, ergänzt der Gesundheitsexperte. Eine Betriebsrätin wirft ein: „Ich würde mir mal wünschen, dass mehr Kontrollen in den Betrieben stattfinden.“ Das Personal in diesem Bereich wird aufgestockt, erklärt Christoph. Allerdings seien es über 100.000 Unternehmen, die der VBW angehören. Die könne man nicht gerade mal eben alle kontrollieren.